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Neuer Gesetzesvorschlag zum EU-Saatgutrecht

Eine Einschätzung

Am 5. Juli hat die Europäische Kommission ihren Entwurf für eine neue Verordnung über Pflanzenvermehrungsmaterial vorgestellt. Die Verordnung regelt die Erzeugung und das Inverkehrbringen von pflanzlichem Vermehrungsgut in der EU und ersetzt 10 verschiedene Richtlinien, die zum Teil noch aus den 60-er Jahren stammen. Mit der Verordnung hat die Kommission ein Ungetüm geschaffen, welches auf 70 Seiten und in 83 Artikeln den Saatgutverkehr durch eine Über-Reglementierung zu erdrücken droht. Der Ball liegt nun beim Europäischen Parlament und beim Ministerrat, welche in den kommenden Monaten den Entwurf entschlacken und verbessern müssen. Das bedeutet also, dass einzelne, positive wie fragwürdige, Artikel noch gestrichen werden könnten.

Hier folgt unsere Interpretation des gegenwärtigen Gesetzesvorschlags.

Von besonderem Interesse für Erhaltungsorganisationen wie ProSpecieRara sind unter anderem folgende Regelungen:

Erhaltungssorten (Art. 26): Das Saatgutrecht regelt das Inverkehrbringen von Saatgut, wobei normalerweise nur Saatgut vermarktet werden darf, welches registriert ist. Für eine Registrierung muss eine Sorte in der Regel Kriterien der Homogenität und Stabilität entsprechen. Als Ausnahme dazu gibt es bisher die Amateur- und die Erhaltungssorten. Die EU möchte diese Ausnahmen nun unter dem Dach der Erhaltungssorten zusammenfassen. Diese können auch neue Züchtungen beinhalten. Bisher durften diese Sorten in der EU nur in den Ursprungsregionen und in beschränkten Mengen und Packungsgrößen verkauft werden. Diese Einschränkungen sollen nun erfreulicherweise wegfallen. Doch scheint die neue Definition einer Erhaltungssorte (Artikel 3.29) neue Einschränkungen einzuführen. Bisher mussten Erhaltungssorten «hinsichtlich der Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen von Interesse sein». Ein Kriterium welches man einfach begründen konnte. Neu müssen sie «ein hohes Maß an genetischer und phänotypischer Vielfalt zwischen einzelnen reproduktiven Einheiten aufweisen», wobei es völlig offen ist, in welchen Fällen die Vielfalt als nicht genügend eingestuft wird und wie diese Vielfalt gemessen werden soll. Weitere Anforderungen für die Beschreibung sollen später noch in Durchführungsbestimmungen dazukommen. Dazu müssen Erhaltungssorten bei der Saatguterzeugung die gleichen, strikten Bedingungen erfüllen wie herkömmliches Saatgut (Artikel 6 und 8). Und neu wird auch eine Berichtspflicht über die jährlich produzierte Menge pro Art eingeführt (Art. 26).

Heterogenes Material (Art. 27): Bis jetzt konnte nur heterogenes Pflanzenmaterial aus dem biologischen Landbau auf den Markt gebracht werden. Der Entwurf sieht nun vor, dass dies auch für herkömmliches Saatgut möglich sein soll. Diese Maßnahme kann die Diversität auf den Feldern erhöhen, wobei auch hier die Anforderungen für Produktion und Vermarktung aufwändig sind. Zudem gibt es Beschränkungen bei der Packungsgröße.

Abgabe an Endkunden (Art. 28): Wie beispielsweise in der Schweiz bereits üblich sollen nun auch in der EU nicht-registrierte Sorten an private Anwender (nicht an Landwirte) in Kleinpackungen verkauft oder abgegeben werden können. Die Abgabe oder Verkauf zwischen Privatpersonen ist gar gänzlich von der Regulierung ausgenommen (Art. 2). Diese Ausnahme ist begrüssenswert, denn sie ermöglicht den Verkauf und die Weitergabe von nicht-registrierten Sorten, was die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Agrobiodiversität vereinfacht.

Saatgutverkehr zwischen Genbanken oder innerhalb Saatguterhaltungsnetzwerken (Art. 29): Auch in diesem Fall dürfen nicht-registrierte Sorten in Umlauf gebracht werden. Weltfremd scheinen aber die neuen Regelungen für die Abgabe von Material zwischen Genbanken und Erhaltungsorganisationen/Netzwerken zu sein, die an Bedingungen wie Keimfähigkeit gebunden sind. Es kann Fälle geben, bei welchem man von einer anderen Genbank oder Erhaltungsorganisationen Saatgut bekommt, um es wieder aufzupäppeln und die Keimfähigkeit zu verbessern. Dies wäre scheinbar nicht mehr möglich. Zudem dürfen Landwirte, auch solche, die Teil von Erhaltungsnetzwerken sind, kein nicht-registriertes Saatgut erhalten. Sinnvoller als diese neuen Regulierungen wäre es, die Tätigkeiten von Genbanken und Erhaltungsorganisationen ganz vom Geltungsbereich der Regulierung auszunehmen.

Saatguttausch zwischen Landwirten (Art. 30): Bisher war der Tausch von Saatgut zwischen Landwirten ein Graubereich. Neu soll er nun explizit erlaubt werden. Doch auch hier wird diese Möglichkeit sogleich mit diversen Anforderungen eingeschränkt (nur kleine Mengen, nur was auf dem eigenen Hof gewachsen ist, etc.). Der Verkauf von Saatgut zwischen Bauern ist gänzlich untersagt. Dies steht im Widerspruch zur «Erklärung für die Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten» (UNDROP) der UNO, welche das Recht auf Tausch und Verkauf von Saatgut explizit festhält.

Eingeschränkter Import (Art. 39): Saatgut kann in die EU importiert werden, wenn nachgewiesen wird, dass die Anforderungen an das Saatgut im Exportland mit jenen in der EU äquivalent sind. Dies gilt jedoch nicht für die oben erwähnten Ausnahmebestimmungen (Art. 26-30). Dies bedeutet z.B., dass eine schweizerische Nischensorten, selbst wenn die Anforderungen an diese Sorte jenen einer EU-Erhaltungssorte entspricht, nicht die Grenze zur EU überschreiten darf. Zudem wäre es verboten, dass z.B. ProSpecieRara Schweiz Saatgut an ProSpecieRara Deutschland oder die deutsche Genbank schickt. Dies bedeutet für die Erhaltungsarbeit einen riesigen Rückschritt, denn die Zusammenarbeit von Organisationen, welche sich für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Agrobiodiversität engagieren macht nicht bei Landesgrenzen halt.

Mehr Anforderungen für die Registrierung von herkömmlichen Sorten: Bisher gab es die Prüfung des „landeskulturellen Wertes“ nur für Ackerkulturen. Neu soll dies auch für Gemüse, Obst und Weinreben notwendig sein. Zudem wird diese Prüfung neu mit Nachhaltigkeitskriterien ergänzt. Auch die Nachhaltigkeitsprüfung soll weiterhin unter unbeschränktem Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln sattfinden. Dass dies nicht den Prinzipien einer nachhaltigen Landwirtschaft entspricht, ist offensichtlich. 

ProSpecieRara wird in den kommenden Wochen gemeinsam mit unseren Partnern in Europa die Analyse des Entwurfes vertiefen und konkrete Verbesserungsvorschläge machen. Wir werden die kommenden Verhandlungen im Europäischen Parlament und im Ministerrat aktiv mitverfolgen und auf dieser Website und über andere Kanäle alle Interessierten auf dem Laufenden halten. 

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Weitere Informationen:

Pressemitteilung der Europäischen Kommission: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_23_3565

Entwurf der neuen Verordnung: https://food.ec.europa.eu/plants/plant-reproductive-material/legislation/future-eu-rules-plant-and-forest-reproductive-material_en